Reporter der Banalitäten: Pop-Art-Künstler Andy Warhol und sein Einfluss auf die Kunst

Andy Warhol, Selbstporträt, 1967, Siebdruck in Acryl auf Leinwand (Copyright: Metropolitan Museum of Art, New York)
Andy Warhol, Selbstporträt, 1967, Siebdruck in Acryl auf Leinwand (Copyright: Metropolitan Museum of Art, New York)

Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal einem Druck von Andy Warhol begegnete. Das muss erst nach der Wendezeit gewesen sein. Als Kunstdrucke von ihm in den Baumärkten oder als Poster in irgendwelchen Katalogen auftauchten. Alles Fake, dachte ich mir. Aber interessant.

Die fünfziger und sechziger Jahre sind für mich rückblickend die aufregendsten Kunstzeiträume. Aufbrüchlerisch war der Geist nach dem Zweiten Weltkrieg. Die USA löste Europa als künstlerischen Vorreiter ab. Kein Wunder, die Nazis vertrieben jeden Maler, Grafiker und Bildhauer, der den braun-schwarzen Gesellen nicht ins ideologische Weltbild passte. Nachdem Nazideutschland Geschichte war, wurde der Kunstgeschmack in den Ostblockstaaten weitestgehend staatlichen Reglementierungen unterworfen. Man kann die Kunst in der DDR vielleicht im Vergleich zu der Kunst der übrigen Ostblockstaaten als fortschrittlich bezeichnen. Aber für mich blieb sie vorwiegend provinziell und angepasst. Im so genannten „Westen“ schien es so, die Künstler unterwürfen sich dem Diktat aus den USA.

Der Kunstunterricht war in der DDR geprägt von den Alten Meistern Lucas Cranach, Hans Holbein, Rembrandt, den alten Niederländern und sozialistischem Realismus ausgehend von den französischen und russischen Künstlern. Vielleicht schummelte sich der eine oder andere Picasso oder Chagall dazwischen. War etwa schon damals ein Warhol dabei?

Ich bemerkte ihn in den mittleren und späten Neunzigern als ich während meinen Bewerbungen an der Hochschule für Grafik und Buchkunst ab und an Arno Rink und Neo Rauch gegenüber saß, mich mit ihnen konfrontiert sah und mich zunehmend mehr mit Kunst beschäftigte. Sowohl handwerklich als auch theoretisch. In der Leipziger Innenstadt gab es die Fälschergalerie, wo die gemalten Porträts von Marilyn Monroe & Co. sowie die berühmte Suppendose hingen. Ist es das, fragte ich mich angesichts der Acrylschinken. Ich begann da gar nicht erst, mich zu verdingen. Mir war das doch zu schnöde. Vor allem handwerklich – mitunter. Wenn auch in der Fälschergalerie Ausnahmen herum schwirrten. Aber „Marilyn Monroe“ als Gemälde? Hatte Warhol doch vorwiegend als Siebdrucker gearbeitet – und Fotograf. Als solcher übertrug er seine Motive als Siebdruck auf einen Malträger und zeigte wie simpel eine künstlerische Idee sein kann.

Für Kunsthistoriker wie Ingo F. Walther ist er der Chronist der Zeit, ein Porträtist der Gesellschaft. Warhol übertrug die Ikonen seiner Zeit auf die Bilder. Das war’s. Kunst als Massenfabrikat passte zum allgemeinen Verständnis der Menschen zu Kulturträgern wie die Musik. Oder Lebensmittelverpackungen. Jetzt, 25 Jahre nach Warhols Tod, hat sich die Kunst geändert. Dabei ist immer noch Warhols Einfluss wahrnehmbar. Der deutsche Maler und Grafiker Gerhard Richter steht unter dem Stern des Sohns slowakischer Einwanderer. Vielleicht auch die amerikanischen Fotorealisten, die in ihren Bildern den amerikanischen Alltag in seiner Langweiligkeit abbildeten und so Zeitzeugnisse schufen, die als Ikonen in den Sammlungen und Museen hängen.

Alles nur Propaganda? Warhol zeigt uns den „American way of life“. Massenfabrikate wie Colaflaschen, Büchsen, Popstars – grell, bunt oder fahl. Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft, die Parteiführer und Tyrannen mit bunten Werbemitteln ablöste? Oder eine Lobrede sogar? Dass Farbe, Form, Masse verführen können demonstrierte uns das 20. Jahrhundert mit seinen totalitären Systemen. Das andere totalitäre System existiert noch – der marktwirtschaftlich orientierte Kapitalismus mit seinen Popikonen, Werbeträgern, farbigem Einerlei. Können wir froh sein, dass die Werbeindustrie die totalitären, politischen Systeme ablöste? Dass Metallica mehr Zuschauer anzieht als Adolf Hitler, Mao, Walter Ulbricht und Joseph Stalin je in ihrem Leben vermochten?

Wir wissen es nicht. Oder doch? Werbung und Kultur wuchsen in ihrer Beiläufigkeit seit Warhols Tod 1987 ins Unermessliche. Die Kunst zieht sich entweder in die ungegenständliche Form zurück oder zeigt uns unermüdlich mit dem Finger in der Wunde aktuelle Geschehnisse. Kritisch, nachdenklich oft. Manchmal auch fröhlich und kindlich. Die Medien änderten sich mit der Zeit auch. Siebdruck als handwerkliche Bereicherung des künstlerischen Daseins scheint angesichts von Copy-Shops, kleinen und großen Siebdruckereien in die selbe Banalität abgedriftet sein wie Siebdruckmassenfabrikate T-Shirt, Bettwäsche, Kunstdruck, Gardine, Sofabezüge. Wir achten gar nicht darauf, was wir tragen, gestalten nicht mehr selbst.

Immer wenn ich die alten Filme aus den sechziger Jahren anschaue, worin Warhol mit seinen Studenten auf dem Boden hockend mit einem selbstgefertigten Siebdruckkasten seine Kunstwerke schuf, wünsche ich mir diese Unbefangenheit in der Kunst zurück. Dass Warhols Einfluss nicht am Äußeren beurteilt wird, sondern am handwerklichen Vorgang. Darin zeigt sich, wer heute als Künstler was auf dem Kasten hat oder nicht. Fotos auf die Leinwand projizieren und die Motive nachmalen kann jeder. Selbst dann scheitert der „Maler“, wenn er die einfachsten Grundlagen nicht beherrscht. War laut Ingo F. Walther Warhol der sorgfältigen Technik des deutsch-jüdischen Malers Richard Lindner (1901 – 1978) genauso verpflichtet wie den Ausdrucksformen der „Neuen Sachlichkeit“.

Das sind Überlegungen wenn ich mir die aktuellen Meldungen über die neue Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum of Art im Internet durchlese und anschaue. Dort werden bis Dezember viele Arbeiten von Andy Warhol gezeigt und mit Arbeiten von Gerhard Richter, Christopher Wool, Douglas Gordon, Alex Katz, Ai Weiwei, Jeff Koons und vielen anderen Künstlern gegenübergestellt. Künstler, die Warhol zum Vorbild für ihre eigene Kunst nahmen oder sich mit ihm ikonographisch auseinander setzten. Im Prinzip können wir zusammenfassen, dass Andy Warhol überall ist, meint auch Met-Direktorin Marla Prather. Sei es als Aufdruck auf irgendeinem Hemd, als Tattoo, als Postkarte. „Er war so eng mit der Kultur verbunden“, so Prather weiter zur außergewöhnlichen Arbeit des 1987 verstorbenen Künstlers.

Beobachte ich die gelangweilt herum gehenden Besucher in den Ausstellungsvideos, stelle ich fest, dass nicht bei jedem die Botschaft der Bilderschau angekommen zu sein scheint. Außer bei Anbietern, die „dein Bild als Warhol-Druck“ im Internet preisen. Für mich jedenfalls setzt Warhol noch immer Impulse. Künstlerisch wie mental.

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